Das Paleo Autoimmunprotokoll (AIP) basiert auf den Prinzipien der Paleo-Ernährung, geht aber noch ein deutliches Stück weiter. Es handelt sich um eine Eliminationsdiät, die versucht, alle potenziell Darm-belastenden und entzündungsfördernden Lebensmittel aus der Ernährung zu verbannen. Das Konzept basiert auf der Annahme, dass Autoimmunerkrankungen wie z.B. Hashimoto, Rheumatoide Arthritis, CED (wobei hier inzwischen strittig ist, ob es sich überhaupt um eine Autoimmunerkrankung handelt) und Multiple Sklerose unter anderem dann entstehen und gefördert werden können, wenn eine Störung der Darmbarriere (engl. Leaky-Gut-Syndrome) vorliegt.
Durch die geschwächte Darmwand dringen Toxine und Fremdkörper in den Blutkreislauf, die das Immunsystem in eine Art Dauer-Alarmbereitschaft versetzen. Die Gefahr, dass das Immunsystem überreagiert steigt. Wie es zu einer erhöhten Darmpermeabilität kommt, ist noch unklar. Man vermutet, dass Faktoren wie Stress, Infektionen und eben auch eine ungünstige Ernährung zu einer Schwächung der Darmbarriere beitragen. Das AIP legt seinen Fokus deshalb neben der Ernährung, mehr noch als alle anderen Ernährungs-Konzepte, auf Lifestyle-Modifikationen, wie Stressreduktion, verbesserte Schlafhygiene und Bewegung.
POTENTIELL IRRITIERENDE LEBENSMITTEL WERDEN AUSGESCHLOSSEN
Paleo AIP ist sehr restriktiv. Es ist auch nicht als Dauer-Ernährung gedacht. Es geht darum, den Darm für eine Weile bestmöglich zu entlasten und ihm Zeit zu geben zu heilen. Meist wird eine Zeitspanne von mindestens einem Monat bis maximal 3 Monate empfohlen. Nach dieser Zeit werden (Paleo-konforme) Lebensmittel nach und nach vorsichtig und nach einem bestimmten Schema wieder eingeführt. Ziel ist es, sich irgendwann wieder voll nach Paleo ernähren zu können, ohne dass sich dabei die Symptome der jeweiligen Krankheit verschlechtern.
Wie bei anderen Eliminations-Diäten auch, hat das langsame Wieder-Einführen von Lebensmittel den Vorteil, dass man ganz individuell austesten kann, was man verträgt und was nicht. So kann man das Konzept nach und nach persönlich auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden.
Nach AIP sind neben Getreide, Pseudogetreide, Milchprodukten, Zucker, Hülsenfrüchten und generell allen stark verarbeiteten Lebensmittel strikt zu meiden:
- Eier
- Nüsse und Samen (auch Kaffee und Kakao, sowie Gewürze aus Samen)
- Nachtschattengewächse (z.B. Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Auberginen, auch als Gewürz z.B. Chilli)
- Alkohol
- Nichtsteroidale Antirheumatika (z.B. Aspirin, Ibuprofen etc.)
Warum gerade diese Lebensmittel? AIP versucht so viele potenziell entzündungsfördernde Lebensmittel, aber auch allgemein bekannte Allergene, wie nur möglich aus der Ernährung zu verbannen um den Darm zu entlasten.
➤ Eier
Eier stehen in der Top Ten der allergenen Lebensmittel sehr weit oben. Etwa 0,5-2,5 % der Weltbevölkerung sind allergisch gegen Hühner-Eier. Die meisten Allergene befinden sich im Eiklar. Das Eigelb ist selbst für Allergiker oft verträglich. Auch Menschen ohne Hühner-Eiweiß-Allergie können empfindlich auf Eier reagieren. Schuld daran ist, nach AIP, vor allem das Lysozym im Eiweiß.
Lysozym hat die Funktion, den Dotter und damit das Embryo vor eindringenden Keimen zu schützen. Grob zusammengefasst soll Lysozym laut AIP die chemische Eigenschaft besitzen, durch eine bereits geschädigte Darmschleimhaut in den Blutkreislauf wandern zu können. Hierbei nimmt es Teile von Eiproteinen und Zellwandbestandteilen von abgestorbenen Darmbakterien mit. Diese Protein-Komplexe können dann im Körper eine Immunreaktion auslösen.
Hühner-Eiweiß ist außerdem ein potenter Mastzellenaktivator, weswegen es auch für Menschen mit einer Histaminintoleranz oft nicht verträglich ist.
➤ Nüsse und Samen
Auch wenn Paleo Nüsse als sehr gesundes Lebensmittel favorisiert, werden sie bei AIP zunächst ausgeschlossen. Denn auch Baumnüsse (Erdnüsse sowieso!) gehören zu den Lebensmitteln mit einem hohen Allergie-Potenzial. Nüsse, Samen und Kerne enthalten außerdem, wie bereits in meinem Post zur Paleo-Ernährung erwähnt, Phytinsäure in relativ hoher Konzentration.
Phytinsäure dient als Phosphat-Speicher und kann Mineralstoffe wie Magnesium und Calcium, besonders aber Eisen und Zink binden, sodass wir sie nicht mehr verdauen und aufnehmen können. Zudem kann Phytinsäure die Enzyme Pepsin und Trypsin blockieren. Diese Enzyme benötigen wir zur Eiweißverdauung.
➤ Nachtschattengewächse
Der Begriff „Nachtschattengewächse“ klingt zunächst irgendwie esoterisch. Doch nein, es handelt sich hier nicht um Gemüse, dass in einer Vollmondnacht geerntet wurde, sondern um eine botanische Gattung (Solanacae). Viele bekannte Zierpflanzen aus dieser Gattung gelten als hochgiftig (z.B. Tollkirsche, Engelstrompete). Doch es gibt auch essbare Gemüsesorten, die in diese Kategorie fallen. Die bekanntesten sind Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Auberginen und Chillies. Interessanterweise gehört auch Tabak zu den Nachtschattengewächsen.
Neben Lektinen enthalten Nachtschattengewächse Alkaloide, wie z.B. Solanin in Kartoffeln, welche die Pflanzen zur Abwehr von Insekten bilden. Diese Stoffe können bei empfindlichen Menschen Entzündungs-Reaktionen auslösen. Vor allem, wenn du eine Gelenkbeteiligung hast, ist es sinnvoll, auszutesten, ob du auf Nachtschattengewächse reagierst. Generell gilt, wie immer, auch hier das Maß – selbst wenn du keine Probleme hast, solltest du es mit dieser Gattung nicht übertreiben. Durch das Entfernen der Stiele, sowie durch Schälen und Kochen lässt sich der Großteil der Alkaloide eliminieren. Finger weg von grünen oder gekeimten Kartoffeln! Sie sollten auch von gesunden Menschen nicht gegessen werden.
➤ Alkohol
Alkohol hat einen direkten Einfluss auf die Stabilität unserer Darmbarriere. Studien belegen, dass er außerdem Entzündungen fördern und das mikrobiologische Gleichgewicht stören kann. Die Studien beziehen sich in den allermeisten Fällen auf einen erhöhten Konsum, bzw. Alkohol-Missbrauch. Es ist aber eigentlich logisch, dass, wenn der Darm bereits entzündet ist, auch kleine Mengen Alkohol nicht gerade förderlich sind. Das betrifft vor allem CED-ler, die eine starke Dünndarm-Beteiligung haben.
➤ Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
NSAR sind frei verkäufliche Schmerzmittel, wie z.B. Ibuprofen und Aspirin. Neben ihrer schmerzstillenden Wirkung haben sie auch eine stark entzündungshemmendes Potenzial, weswegen sie in der Basistherapie der meisten rheumatischen Erkrankungen eingesetzt werden. Nichtsteroidal sind sie, weil sie keine Steroide (Kortison) enthalten, die ebenfalls zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen eingesetzt werden.
Jetzt denkst du vielleicht: Hey, super – ein Entzündungshemmer, der kein Kortison enthält! Wäre das nicht auch was für uns CED-ler? Leider nein. Nebenwirkungen, die bei übermäßigem Gebrauch auch bei bisher Darm-gesunden auftreten können, sind Magen-Darm-Blutungen und Geschwür-Bildung. NSAR können bei CED-lern Krankheitsschübe auslösen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass du allen (fachfremden) Ärzten, die dich schmerztherapeutisch behandeln wollen/müssen (Zahnarzt, Orthopäde etc.) erklärst, dass du an einer CED erkrankt bist. Als gut verträglich gelten Paracetamol und Novalgin. Bitte sprich dich im Falle einer Selbstmedikation unbedingt mit deinem behandelnden Gastroenterologen ab.
WENN GESUNDE ERNÄHRUNG ZUM ZWANG WIRD
Ich habe mich ungefähr vier Monate nach AIP ernährt. Nach meinen positiven Erfahrungen mit der Paleo-Ernährung, wollte ich einfach wissen ob, ich durch weitere Einschränkungen meines Speiseplans ein noch besseres Allgemeinbefinden erreichen konnte. Zunächst hat mir das Experiment Spaß gemacht. Durch die zusätzlichen Einschränkungen musste ich in der Küche total kreativ werden. Ich habe zum Beispiel Kochbananen entdeckt. Zum einen als konforme Kohlenhydrat-Quelle, zum anderen auch als Bindemittel, da Eier ja aus dem Speiseplan gestrichen waren. Aus pürierten grünen Kochbananen lassen sich extrem leckere Pancakes zaubern.
Allerdings habe ich Eier und vor allem Tomaten und Paprika sehr vermisst. Außerdem hatte ich nach kurzer Zeit das Gefühl, wirklich NUR noch in der Küche zu stehen und durch meine höchst restriktive Ernährungsweise überhaupt nicht mehr am sozialen Leben (Essen gehen etc.) teilnehmen zu können. Alles musste immer genau geplant werden. Ich habe wahnsinnig viel vorbereitet, dabei ging wirklich alle Spontanität flöten. Psychisch hat mir AIP nicht gutgetan. Ich fühlte mich gefangen in meinem eigenen Lebensentwurf und wurde trotzdem immer pedantischer und dogmatischer. Zum Glück bin ich ein selbstreflexiver Mensch. Ich merkte, dass ich in Gefahr lief, eine Orthorexie zu entwickeln. Also einen krankhaften Zwang, sich „gesund“ zu ernähren. Ich bin generell empfänglich für solcher Art Zwänge, da ich sehr ehrgeizig und ein echter Kontroll-Freak bin.
Dabei hat mir AIP eigentlich überhaupt keine Vorteile gegenüber der Standard-Paleo-Ernährung gebracht. Im Gegenteil, ich fing an bei jedem Ziepen im Bauch gleich irgendein Lebensmittel dafür verantwortlich zu machen und wurde richtiggehend paranoid. Am Ende hatte ich das subjektive Gefühl, wirklich GAR NICHTS mehr zu vertragen, obwohl das eigentlich nicht stimmte. Ich führte dann ziemlich schnell alle Paleo-konformen Lebensmittel wieder ein und nahm sogar weißen Reis wieder in meinen Speiseplan auf, weil ich zu viel Gewicht verloren hatte.
Das einzig positive an AIP war für mich persönlich, dass ich herausfinden konnte, dass ich z.B. überhaupt kein Problem mit Nachtschattengewächsen habe, aber sehr wohl mit Nüssen. Dies hat meiner Meinung nach aber weniger mit den darin enthaltenen „Antinährstoffen“ zu tun, als mit dem hohen Ballaststoff-Gehalt. Nüsse vertrage ich nur in sehr kleine Mengen. Backwaren aus Nussmehl gehen gar nicht. Nussmus verwende ich dagegen oft und gerne als leckeres Topping oder als Grundlage für (asiatische oder orientalische) Saucen und Dips.
Bei Eiern ist es unentschieden. Von Rührei wird mir oft übel. Ein weiches Frühstücks-Ei oder ein hartgekochtes Ei vertrage ich hingegen gut. Manchmal ist es nicht nur die Art der Zubereitung, die den Unterschied macht, sondern auch, wie man Lebensmittel miteinander kombiniert. Ei mit Räucherlachs geht bei mir beispielsweise überhaupt nicht. Ich vermute, dass ein Zuviel an (unterschiedlichem) Eiweiß auf einmal oder aber meine (latente) Histaminintoleranz der Grund dafür ist.
FAZIT: FLEISCH IST MEIN GEMÜSE (*FREI NACH HEINZ STRUNK)
AIP ist extrem Fleisch-lastig. Und zwar nicht, weil durch die eingeschränkte Auswahl subjektiv gesehen nicht mehr viel anderes übrig bleibt, sondern vielmehr, weil das Konzept ganz bewusst auf tierische Lebensmittel als leicht aufzuschließende Quelle für vollwertiges Protein, Vitamine und Mineralstoffe setzt. AIP kann also im Gegensatz zu anderen Ernährungskonzepten nicht vegetarisch oder gar vegan umgesetzt werden. Dabei verfolgt AIP das „Nose-to-tail“-Prinzip, es sollten also möglichst alle Teile vom Tier gegessen werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Innereien. Vor diesem Hintergrund ist es fast schon selbstverständlich, dass man hier unbedingt auf Bio und, ein ganz wichtiger Punkt, auf „gras-fed“, also Weide-Fleisch oder eben Wild setzen sollte.
Das Fleisch von Gras-gefütterten Tieren weist ein besonders günstiges Fettsäure-Profil auf. Bei tierischen Lebensmitteln sollte hier wirklich auf Bio im besten Sinne, also auf ein strenges Gütesiegel, wie Bioland oder Demeter geachtet werden oder zumindest auf geprüfte artgerechte Tierhaltung wie z.B. Neuland. Alternativ kann man Weide-Fleisch auch über seriöse Quellen im Internet bestellen, wenn man größere Mengen abnimmt. Meist handelt es sich um Landwirte, die das Tier erst dann schlachten, wenn entsprechend ausreichende Bestellungen eingegangen sind.
Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass Fleisch aus biologischer, artgerechter Tierhaltung in Maßen ein gesundes und wichtiges Lebensmittel für CED-ler darstellt, die Probleme pflanzlichen Eiweißquellen haben, ist die schiere Menge, wie sie bei AIP propagiert wird für mich ein Grund von dieser Ernährungsform abzusehen. Denn artgerecht hin oder her – wer längerfristig jeden Tag große Mengen an tierischen Produkten zu sich nimmt, trägt meiner Meinung nach weder zum Tierwohl, noch zum Erhalt seiner Gesundheit, geschweige denn zu einer gesunden Umwelt bei.
Es gibt AIP-Verfechter, die behaupten, man könne AIP sehr wohl mit viel weniger tierischen Lebensmitteln umsetzen und den Haupt-Fokus auf Gemüse setzen. Ich sage: ja und nein. Ja – natürlich geht das, und nein – weil es sich dann streng genommen nicht mehr um AIP handelt. Wer das Buch „The Paleo Approach“ von Sarah Ballantyne, der „Mutter“ des AIP gelesen hat, weiß, dass Fleisch und Fisch dort nicht einfach nur als Lebensmittel sondern als „Heilmittel“ betrachtet werden.
Meine persönliches Fazit: AIP kann CED-lern eine Hilfestellung bieten, herauszufinden, welche Lebensmittel ihnen (nicht) bekommen. Es handelt sich aber um eine strenge Eliminations-Diät, die ohne ernährungstherapeutische Begleitung auf keinen Fall länger als 3 Monate eingehalten werden sollte. Interessanterweise scheint AIP vor allem bei Hashimoto, einer Autoimmun-Erkrankung, welche die Schilddrüse angreift, erfolgreich zu sein. Fast alle Testimonials im Internet, die über positive Ergebnisse berichten, leiden an dieser Krankheit. Auch Sarah Ballantyne wurde eine Hashimoto-Thyreoiditis diagnostiziert, bevor sie AIP entwickelte, weil sie eine Alternative zur schulmedizinischen Behandlung vermisste.
FÜR DIE WEITERE RECHERCHE
- Sarah Ballantyne, die „Mutter“ des Paleo-Autoimmunprotokolls nennt sich selbst sehr passend thepaoleomum.com. Ihr Buch „The Paleo Approach“ (inzwischen auch auf Deutsch mit dem Titel „Die Paleo-Therapie“ erhältlich) geht auf wirklich alle Aspekte des Konzeptes ein und enthält unglaublich viele Informationen und medizinische Hintergründe. Für alle, die sich ernsthaft mit AIP beschäftigen möchten, ein absolutes Muss!
- Eine weitere gute Quelle für Informationen und vor allem für Rezepte ist die Website von Mickey Trescott und Angie Alt, beide sind Ernährungsberaterinnen und leiden selbst an mehreren Autoimmunerkrankungen.
- Eine tolle deutschsprachige Quelle ist außerdem der Blog Hashimoto & Co. von Sabrina und René Bergmann.
- Besonders interessant für CED-ler dürfte außerdem das Buch „Die Paleo-Revolution“ von Heidruns Schaller sein. Sie ist an Colitis Ulcerosa erkrankt und konnte mit Hilfe der Paleo-Ernährung ihre Krankheit erfolgreich positiv beeinflussen.
QUELLEN
- Vishnudutt Purohit, J. Christian Bode, Christiane Bode, David A. Brenner, Mashkoor A. Choudhry, Frank Hamilton, Y. James Kang, Ali Keshavarzian, Radhakrishna Rao, R. Balfour Sartor, Christine Swanson, and Jerrold R. Turner (2009): „Alcohol, Intestinal Bacterial Growth, Intestinal Permeability to Endotoxin, and Medical Consequences“, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2614138/, {2021, 2. Februar}
- Bruno Giardina, Prof. Dr. med. Stephan Vavricka (2019): „Chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Schmerzmittel“, https://www.ibdnet.ch/files/download/Patient%20Information/CED%20und%20Schmerzmittel.pdf, {2021, 2. Februar}
- Felix Olschewski (2013): „Was ist Weidefleisch? Und warum überhaupt?“, https://www.urgeschmack.de/was-ist-weidefleisch-1/, {2021, 2. Februar}